Wie lohnend sind Immobilien mittlerweile angesichts von Kostenanstiegen, dem Trendwechsel bei den Finanzierungszinsen und immer neuen gesetzlichen Anforderungen an Energieeffizienz? In welchen Regionen und Sektoren könnten weiterhin die Chancen überwiegen? Welche Fallstricke müssen Eigennutzer und welche sollten Kapitalanleger am Wohnungsmarkt beachten? Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Jochen Möbert, Volkswirt bei Deutsche Bank Research.
- Herr Möbert, laufen wir auf eine Immobilienblase in Deutschland zu?
- Wie steht es um die Erschwinglichkeit von Wohnimmobilien in Deutschland?
- Können Wohnimmobilien angesichts steigender Zinsen noch einen langfristigen Schutz vor Inflation bieten?
- Gibt es in Deutschland regionale Schwerpunkte, Städte oder Regionen, in denen es aus Ihrer Sicht ganz besonders lohnt, in Immobilien zu investieren?
- Sollten Kaufinteressenten auf den Faktor Zeit setzen und bei Neuinvestments besser abwarten? Schließlich könnten im Gegenzug zu den deutlich steigenden Zinsen demnächst die Kaufpreise unter Druck geraten?
- Worauf sollte man bei der Bewertung von Immobilien jetzt verstärkt achten? Gibt es Kennzahlen, die man besonders in den Blick nehmen sollte?
Herr Möbert, laufen wir auf eine Immobilienblase in Deutschland zu?
Dr. Jochen Möbert: Wenn man auf den Wohnungsmarkt schaut, sprechen wir weiterhin nur von Überbewertung und nicht von einer Blase. Und die Preise haben in den vergangenen Monaten ja auch nachgegeben. Wenn es denn wirklich eine Immobilienblase wäre, dann ist das Rückschlagspotenzial mittlerweile deutlich geringer.
Wie steht es um die Erschwinglichkeit von Wohnimmobilien in Deutschland?
JM: Von 2009 bis Anfang 2022 gab es eine Phase, in der wir trotz fallender Zinsen immer höhere Preise hatten. Trotzdem ist die Erschwinglichkeit von Immobilien nicht eingebrochen, weil die günstigen Zinsen es ermöglicht haben, weiter günstig zu kaufen und günstiger zu kaufen als zu mieten. Jetzt haben wir eine Situation, in der es zumindest bis Juni einen sehr rasanten Zinsanstieg gab, den man fast schon als Zinsschock titulieren kann. Die langfristigen Hypothekenzinsen sind um gut zwei Prozentpunkte gestiegen und das hat die Erschwinglichkeit auch kräftig gedrückt. Schaut man nur auf die Zinsen und blendet die Tilgung aus, dann liegt das aktuelle Zinsniveau deutlich unter dem Niveau während der Finanzkrise. Die Zinsen sind aus historischer Sicht also immer noch niedrig. Aber es war schon eine heftige, sehr steile Bewegung, während wir früher eher kleinere Zinsbewegungen gesehen haben. Von daher ist die Erschwinglichkeit deutlich gefallen.
Aber: Seit Juni diskutieren die Ökonomen über Anzeichen einer Rezession. Und damit weiß jeder, die Wirtschaft läuft nicht so rund. Entsprechend sind dann auch die 10-jährigen Bundrenditen seit Juni wieder rückläufig, und zwar um rund einen Prozentpunkt: von rund 1,8 Prozent bei 10-jährigen Renditen sind sie jetzt deutlich unter 1 Prozent gefallen. Und das dürfte auch auf die Hypothekenzinsen durchschlagen. Die dürften zumindest nicht weiter steigen, tendenziell sogar fallen.
Können Wohnimmobilien angesichts steigender Zinsen noch einen langfristigen Schutz vor Inflation bieten?
JM: Ich denke, langfristig schon. Wir haben eine große Angebotsknappheit in Deutschland, die durch die Entwicklungen der letzten Monate – große Zuwanderung plus die Flüchtlingswelle – nochmals zugenommen hat. Da dürfte es für Verkäufer weiterhin möglich sein, einen Inflationsausgleich durchzusetzen. Das sehen wir momentan zwar nicht aufgrund dieses Zinsschocks, aber mittel- bis langfristig gehe ich davon aus, dass die Inflation strukturell hoch bleibt. In dieser Situation dürfte der Inflationsschutz für Verkäufer bestehen bleiben. Zudem kann der Käufer seinen Kredit sozusagen mit der Inflation tilgen. Er muss zumindest dann in der Zukunft deutlich weniger Kaufkraft zurückzahlen, als man aufgenommen hat.
Es ist ein sehr kreditnehmerfreundlicher Markt. Die realen inflationsbereinigten Renditen waren noch nie so negativ wie aktuell. Wir sind seit 2014/15 gewohnt, durch die EZB reale 10-jährige Bundrenditen von minus 1 Prozent zu haben. Aber aktuell haben wir ein Niveau von minus 7 Prozent. Das ist ein großes Geschenk für alle Kreditnehmer.
Gibt es in Deutschland regionale Schwerpunkte, Städte oder Regionen, in denen es aus Ihrer Sicht ganz besonders lohnt, in Immobilien zu investieren?
JM: Der Zyklus geht wohl in allen elf Metropolregionen zu Ende, mit Ausnahme von Berlin und Leipzig. Dort sind Sonderfaktoren am Werk. Berlin ist wohl weiterhin auf dem Weg zur globalen Metropole oder bereits heute die einzige deutsche Stadt, die man als globale Metropole bezeichnen kann. In Berlin Mitte ist Englisch mittlerweile wohl zur selbstverständlichen Verkehrssprache geworden. Berlin ist auch nicht teuer. Im Vergleich zu Paris und London, mit denen sich Berlin künftig womöglich auf Augenhöhe bewegt, ist das Preisniveau noch verhalten.
Und beim Blick auf Leipzig sehen wir eine hohe Wohnungsnachfrage, weil eine Reihe von Dörfern und kleineren Städten im Umland eine schlechte Infrastruktur haben und viele Sachsen dann in die nächstgrößere Stadt ziehen. Davon profitiert Leipzig ebenso wie viele andere, relativ infrastrukturschwache Städte in Ost- und auch Westdeutschland.
Sollten Kaufinteressenten auf den Faktor Zeit setzen und bei Neuinvestments besser abwarten? Schließlich könnten im Gegenzug zu den deutlich steigenden Zinsen demnächst die Kaufpreise unter Druck geraten?
JM: Beim Bestandskauf haben wir die letzten Monate Preisrückgänge gesehen. Angesichts der eher größeren Knappheiten ist da nicht mehr viel Luft nach unten. Ich denke, die Preise werden sich da wieder nivellieren oder sogar leicht steigen.
Wenn man über einen Neubau nachdenkt, dann sind wir mit einem sehr großen Material- und Fachkräftemangel konfrontiert. Der Materialmangel mildert sich aktuell etwas ab. Wenn Sie auf die Weltmarktpreise für Öl und Metalle schauen, dann sind die auch nicht weiter gestiegen. Die Baumaterialpreise dürften also eher seitwärts laufen oder womöglich sogar fallen. Da könnte es sich lohnen, zu warten.
Die große Unbekannte ist natürlich der Winter, wenn wir steigende Gas- und Energiepreise bekämen. Eigentlich bin ich optimistisch, dass wir viele Möglichkeiten haben, eine sehr große Energiekrise zu vermeiden. Spätestens im Frühjahr sollte es etwas entspannter sein, und dann ist vielleicht ein guter Zeitpunkt für den Baubeginn.
Der Fachkräftemangel ist aber ein strukturelles Problem, da wird es wohl zu keiner großen Entlastung kommen.
Worauf sollte man bei der Bewertung von Immobilien jetzt verstärkt achten? Gibt es Kennzahlen, die man besonders in den Blick nehmen sollte?
JM: Aktuell haben wir eine außergewöhnlich hohe Inflationsrate und es ist zu erwarten, dass die Inflation auch strukturell relativ hoch bleibt. Lohnanstiege aufgrund der Demographie, die lockere Fiskalpolitik, Klimapolitik und Geopolitik könnten die Inflation weiter ankurbeln. Die Europäische Zentralbank dürfte kurzfristig weiterhin negative Realzinsen anstreben, was dazu führen könnte, dass man in einigen Jahren die Zinsen doch sehr kräftig anheben muss, um die Inflation wieder einzudämmen. Dann könnte Geldpolitik deutlich restriktiver werden.
Die heutigen Finanzierungskosten sind immer noch günstig. Aber wenn die Zinsen kräftig steigen, dann müssen Häuslebauer und Investoren in fünf oder zehn Jahren plötzlich mit den doppelten oder dreifachen Zinsen refinanzieren. Daher sollte man einen finanziellen Puffer einkalkulieren. Für dieses Jahr stehen die Zeichen vermutlich aber auf Entspannung, wir erwarten durchweg, wie bereits am Jahresanfang, dass die langfristigen Hypothekenzinsen am Jahresende bei rund 2,5% liegen und damit in etwa auf dem aktuellen Niveau während der Finanzkrise. Historisch sind die Zinsen also weiterhin günstig. Für das Jahresende 2023 erwarten wir dann einen kleinen Anstieg auf 3 Prozent.
Immobilienmärkte lohnen dann für Käufer und Investoren, wenn eine hohe Nachfrage vorhanden ist. Dabei spielen Wanderungsbewegungen, sowohl Zuwanderung als auch Binnenwanderung, für Deutschland eine große Rolle. Wenn Sie auf die Kreisebene schauen, in welchen Kreisen die Einwohnerzahl von 1990 bis 2010 rückläufig war, dann schrumpfte in etwa drei dieser vier Kreise auch von 2010 bis 2020 die Einwohnerzahl. Und wenn man in diesen Regionen investiert, dann muss man langfristig womöglich mit einer schwachen Preisentwicklung oder sogar Rückgängen rechnen.
Lesen Sie mehr zum Thema Immobilienkauf, zum Beispiel in unserem Beitrag „Immobilienkauf für Singles“.
Unser Titelbild stammt aus dem Neubauprojekt „Am Brückensteg“ von Uwe Albertsen.