Mit dem Neubauprojekt VINZENT in München-Neuhausen entsteht das erste Holz-Hybrid-Ensemble im innerstädtischen Gefüge der Stadt. Was bedeutet Holz-Hybrid? Warum ist der Aspekt Nachhaltigkeit heute wichtiger denn je und welche Herausforderungen stellt ein Projekt dieser Dimension an den verantwortlichen Architekten? Wir sprachen mit Prof. Ludwig Wappner vom Büro Allmann Sattler Wappner in München.
- Herr Prof. Wappner, wie gehen Sie an ein Bauvorhaben wie VINZENT heran?
- Was ist für Sie als Architekt bei diesem Projekt anders als bei Ihren früheren Neubau-Quartieren?
- Was sind Vorteile eines Gebäudes aus Holz für die Menschen, die darin künftig wohnen und arbeiten?
- Stellt Holz andere Anforderungen an Sie als Architekt und wenn ja, welche?
- Neben der Holzbauweise – was sind weitere nachhaltige Features bei VINZENT?
- Sehen Sie VINZENT als Beginn einer neuen Ära in der Münchner Architekturgeschichte?
Herr Prof. Wappner, wie gehen Sie an ein Bauvorhaben wie VINZENT heran?
Prof. Ludwig Wappner: Grundsätzlich gehen wir jedes Entwurfsprojekt völlig offen und freigeistig an. Beim Wohn- und Gewerbeprojekt VINZENT in unmittelbarer Nähe zu unserem Bürostandort im gleichen Quartier mussten wir natürlich nur das uns bestens Bekannte und Besondere unserer Nachbarschaften analytisch zusammenfügen und städtebaulich und gestalterisch bewerten, um damit für den Auftraggeber, die interessierte Öffentlichkeit, aber auch uns selbst eine Projektgeschichte zu verfassen, die das Bauvorhaben nachvollziehbar und integrativ durch den ganzen Planungsprozess tragen kann.
Das lebenswerte und vitale St.-Vinzenz-Viertel bietet bei genauer Betrachtung bei Spaziergängen mannigfaltige Anregungen und Hinweise für ein gutes Wohnen in der Innenstadt von München. Hierzu gehören unter anderem auch die typischen Farbvarianzen bei meist geputzten Stadthäusern, die München nicht nur zufällig zur „nördlichsten Stadt Italiens“ im Volksmund machen. Dieses ansprechende Thema wollten wir von Anfang an auch kontextuell betrachtet auf unser Projekt VINZENT und seine avisierten Holzfassaden übertragen sehen und haben dazu auch weitreichende fachliche Untersuchungen und universitäre Forschungen zur Qualitätssicherung und Schönheit von Farbe bei Holzfassaden angestellt und in den Diskurs eingebracht.
Was ist für Sie als Architekt bei diesem Projekt anders als bei Ihren früheren Neubau-Quartieren?
Die besondere Herausforderung bei diesem Projekt bestand in den ausgeprägten und zukunftsorientierten Wünschen Bauwerks, mit VINZENT einen besonders nachhaltigen, zukunftsfähigen, ökologischen, ökonomischen und lebenswerten Baustein für Wohnen und Arbeiten in der Stadt zu entwickeln. Er sollte zudem auf die vielfältigen heutigen Herausforderungen im Hinblick auf Energie, Ressourcen und Umwelteinwirkungen ebenso nachvollziehbare Antworten geben wie auf bestmögliche Wohn- und Arbeitsplatzqualitäten.
Was sind Vorteile eines Gebäudes aus Holz für die Menschen, die darin künftig wohnen und arbeiten?
Darüber ließen sich jetzt ganze Bücher schreiben, aber wir wollen mit der intensiven Verwendung des nachwachsenden Baustoffes Holz bei diesem Projekt einen messbaren, spürbaren und nachhaltigen Fußabdruck in der Stadt hinterlassen, der mit seinem Gesamtauftritt im Äußeren und seiner ausgeprägten Wohnqualität im Inneren die bekannten Vorzüge von Holz beim Wohnen und auch beim Arbeiten so darstellt, dass es auch in der Stadt keine Ausnahme sein muss, den Baustoff Holz vermehrt wieder zur Anwendung zu bringen. Der Einsatz von Holz war bekanntlich ein wichtiger Baustoff der Stadt des Mittelalters und wurde insbesondere wegen vieler Brandkatastrophen mehr und mehr durch steinerne Gebäude ersetzt. Durch intensive Forschungen und Tests kann der aktuelle Holzbau diese Problematik lösen und erlebt somit auch als Baustoff in der Stadt eine wohltuende Renaissance. Die Bewohner und Nutzer von Häusern, die zu großen Teilen aus dem Baustoff Holz bestehen, werden nicht nur durch die belegbaren Fakten und Qualitäten des nachwachsenden Baumaterials überzeugt, sondern auch von den sinnlichen Eigenschaften von Holz wie Haptik und Geruch. Zudem profitieren sie von den baubiologischen Eigenschaften und werden gerne diese Häuser bewohnen und darin arbeiten.
Stellt Holz andere Anforderungen an Sie als Architekt und wenn ja, welche?
Natürlich bedarf eine intensive Auseinandersetzung mit dem Baustoff Holz und seinen Eigenschaften einer besonderen Fachkompetenz aller am Planungs- und Bauprozess beteiligten Personen. Diese notwendige Kompetenz bedient sich aber auch einer uns eigenen Planungsmethodik im Büro, die sich immer gerne neuen Herausforderungen beim Planen und Bauen zuwendet und widmet, um mit diesen Herausforderungen eine ganz spezifische Antwort auf die jeweilige Aufgabenstellung zu geben. Bauen mit Holz ist für uns nichts Neues, wir haben Erfahrungen aus früheren Projekten auf die wir aufbauen können, profitieren aber gerade bei einigen parallel laufenden Holzhybridbauten von einer intensiven Hinwendung zu den aktuellen Fragestellungen beim Bauen mit Holz.
Neben der Holzbauweise – was sind weitere nachhaltige Features bei VINZENT?
Nachhaltigkeit beim Bauen definiert sich ja bekanntlich nicht nur in der Materialfrage, sondern ebenso gleichrangig in den Fragen der Ökonomie, der Ökologie und den sozialen Aspekten beim Wohnen und Arbeiten. Auf diese unterschiedlichen Fragen haben wir gemeinsam mit Bauwerk versucht, für das Projekt VINZENT bestmögliche und belastbare Antworten zu finden und diese auch im Planungsprozess anzuwenden. Hierzu gehören natürlich auch neue Formen des Zusammenlebens, der gemeinsamen Nutzung von Freiflächen im Hof und auf dem Dach, ein kleiner Caféhub, der sich zum öffentlichen Raum hin öffnet oder Mobilitätsstationen für Automobile und Bikes. Aus unserer Sicht sind das alles naheliegende Dinge, die hoffentlich zukünftig für jedes neue Bauprojekt eine ebensolche Herausforderung wie bei VINZENT darstellen sollten und somit Wohnen und Arbeiten in der Stadt weiterhin attraktiv, lebenswert, nachhaltig und in die Zukunft gewandt erscheinen lassen.
Sehen Sie VINZENT als Beginn einer neuen Ära in der Münchner Architekturgeschichte?
Ganz so überzogen würden wir das durchaus besondere innerstädtische Projekt nun doch nicht positionieren wollen. Es zeigt einfach auf beeindruckende und nachhaltige Art und Weise, wie sich tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere im Zusammenhang mit den nicht mehr länger zu verleugnenden Klimaveränderungen des Planeten Erde, auch und ganz besonders auf das Thema Bauen auswirken können und müssen. Diesen Veränderungen und daraus resultierenden Herausforderungen stellt sich das Projekt auf vielfältigste Art und Weise, bietet Ansätze und Antworten, die als wichtige Impulse ohne absoluten Anspruch gesehen werden können. Sie zeigen jedoch nachvollziehbar auf, dass es sich lohnt, mit guten Ideen und Konzepten beim Bauen voranzuschreiten, um einen kleinen Beitrag für das große Ganze unserer Umwelt anzubieten. Diese sichtbaren und erlebbaren Attribute des Projekts könnten Ansporn sein für weitere vergleichbare Bauvorhaben in der Münchner Innenstadt und somit durchaus einen wichtigen Baustein zur Münchner Stadtbaugeschichte liefern und die Tradition dieser wunderbaren Stadt mit neuen Materialien und Nutzungsstrukturen fortschreiben.
Kurzvita: Prof. Ludwig Wappner ist seit 1993 Partner bei Allmann Sattler Wappner Architekten. Seit 2010 ist er Professor für Baukonstruktion und Entwerfen am Karlsruher Institut für Technologie KIT sowie Gastprofessor an nationalen und internationalen Universitäten, u.a. der Hochschule für Technik in Stuttgart und der „Central Academy of fine Arts“ CAFA in Peking. Ludwig Wappner ist Mitglied mehrerer Stadtgestaltungsbeiräte, aktuell in der Stadt Mannheim, der Stadt Bamberg und der Stadt Pforzheim sowie der Beratergruppe der Messestadt München-Riem. Vorträge und Publikationen von Fachbeiträgen, sowie Gastkritiken und Workshops im nationalen und internationalen Rahmen sind zudem Teil seines Tätigkeitsbereichs.
Bilder VINZENT: Bauwerk
Bild Ludwig Wappner: Myrzik& Jarisch
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