In der Reihe „Deutschland Monitor“ greifen Analysten von Deutsche Bank Research regelmäßig aktuelle Themen in Deutschland und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen auf. Zum Beispiel die Corona-Krise und ihre Folgen für den Immobilienmarkt. Wir sprachen mit Jochen Moebert von DB Research, wie sich die Corona-Krise speziell auf den Markt für Neubau-Immobilien und die Preisgestaltung von Neubauprojekten auswirkt.
- Wie wirkt sich die aktuelle Corona-Krise derzeit auf den Markt für Neubau-Immobilien aus?
- Gehen Sie davon aus, dass sich die Zahl der Fertigstellungen von neuen Immobilien in mittelfristiger Zukunft weiter verringern wird?
- Lässt sich davon ausgehen, dass angesichts der Tatsache, dass viele Neubauwohnungen fehlen, die Preisdynamik auf dem Markt trotz Corona stabil bleiben wird?
- Sehen Sie ein Ende der Preisdynamik im Segment Neubau-Immobilien für absehbare Zeit?
- Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf den Immobilien-Markt für Kapitalanleger ein?
Wie wirkt sich die aktuelle Corona-Krise derzeit auf den Markt für Neubau-Immobilien aus?
Jochen Moebert: Zunächst müssen wir davon ausgehen, dass die Zahl der fertiggestellten neuen Wohnungen in diesem Jahr um bis zu 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr einbrechen wird. Gründe dafür sind zum einen Lieferengpässe bei Baumaterial, fehlende, zum Teil schwer zu beschaffende Ersatzteile für Maschinen und – als schwerstwiegender Faktor – der Mangel an Fach- und Hilfskräften auf dem Bau.
Gehen Sie davon aus, dass sich die Zahl der Fertigstellungen von neuen Immobilien in mittelfristiger Zukunft weiter verringern wird?
Definitiv. Wir halten einen Rückgang von rund 280.000 fertiggestellten Neubau-Immobilien in den vergangenen Jahren auf ca. 260.000 neue Wohneinheiten in 2021 für realistisch. Dieser Rückgang wird auch in den folgenden Jahren schwer aufzuholen sein. Zum Vergleich: Den rund 260.000 Fertigstellungen, die wir erwarten, steht eine Nachfrage von mehr als 350.000 neuen Wohnungen gegenüber.
Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Neubau-Immobilien besteht in Deutschland seit Langem. In den Jahren 2017 und 2018 wurden jeweils knapp über 285.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Um das Ziel von 1,5 Millionen neuen Wohneinheiten bis Ende 2021 zu erreichen, werden allerdings 375.000 neue Wohnungen jährlich gebraucht. Das ist aufgrund der zahlreichen hemmenden Faktoren weder in 2019 erreicht worden, noch dürfte es im Corona-Jahr 2020 der Fall sein.
Lässt sich davon ausgehen, dass angesichts der Tatsache, dass viele Neubauwohnungen fehlen, die Preisdynamik auf dem Markt trotz Corona stabil bleiben wird?
Zunächst müssen wir davon ausgehen, dass bedingt durch die Coronakrise in diesem Jahr die Wohnungsnachfrage um weitaus mehr als 10 Prozent einbrechen wird. Hier bewirken die Job- und Existenzängste, Kurzarbeit und Gehaltseinbußen der Menschen einen erheblichen Dämpfer. Erfolgt die erwartete wirtschaftliche Erholung, so wird sich die Nachfrage ab 2021 jedoch kräftig wiederbeleben. Sofern die wirtschaftliche Dynamik schon bald wieder deutlich anzieht, kann davon ausgegangen werden, dass die für die starke Wohnungsnachfrage verantwortlichen Faktoren schon ab der zweiten Jahreshälfte 2020 wieder in den Vordergrund treten. Das sind neben dem Niedrigzinsumfeld die stabile Arbeitsmarktlage und ein solides Lohnwachstum.
Ein weiterer Faktor, der für eine Wiederbelebung der Branche spätestens ab 2021 spricht, ist das seit vielen Jahren nicht ausreichend gedeckte Angebot bei Neubau-Immobilien. Wir erleben seit einigen Jahren einen „Baustau“: die Anzahl der genehmigten Neubauprojekte ist weitaus höher als die Zahl der Fertigstellungen. Die Fertigstellungen ihrerseits hinken immer noch gravierend hinter der Nachfrage her. Basierend auf diesen Faktoren gehen wir davon aus, dass der laufende Preiszyklus bis zum Jahr 2022 dauern wird. Aus fundamentaler Sicht dürften Mieten und Preise daher weiter steigen.
Sehen Sie ein Ende der Preisdynamik im Segment Neubau-Immobilien für absehbare Zeit?
Die hohe Preisdynamik dürfte dann zu Ende gehen, wenn die jährlichen Fertigstellungen die Wohnungsnachfrage übertreffen. Diese Entwicklung wird aber regional betrachtet sehr unterschiedlich verlaufen. Insbesondere in Ballungsgebieten und Metropolregionen, die für Zuzügler sehr attraktiv sind, wo es andererseits jedoch eklatant an Bauland mangelt, dürfte die Preisdynamik noch lange stabil bleiben.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf den Immobilien-Markt für Kapitalanleger ein?
Wie bereits oben erwähnt, geht unser Basisszenario von einer kräftigen wirtschaftlichen Erholung im zweiten Halbjahr 2020 aus – wenn sich die Coronakrise bis dahin in den Griff bekommen lässt. Die derzeitige Annahme von starken Preisrückgängen halten wir bestenfalls für temporär. Mittelfristig gehen wir, bezogen auf den Markt für Kapitalanleger, ebenfalls von weiteren Preissteigerungen aus. Ein wesentlicher Faktor ist der Wunsch nach Sicherheit, den der Großteil der Investoren derzeit in Wohn-Investments bestmöglich erfüllt sieht. Auch in puncto Risiko-Rendite-Abwägungen erscheinen die bundesweit erzielbaren Mietrenditen ab 4 Prozent p.a. nach wie vor attraktiv. Zudem könnte es nach den temporären Preisrückgängen in der Corona-Krise eine Flucht in Sicherheit geben. Dies könnte die Nachfrage nach Wohnimmobilien erneut ankurbeln und die Preise auf dem Markt für Kapitalanleger abermals erhöhen.
Unser Titelbild stammt aus dem Neubauprojekt „Great East“ von der Mattheußer Vertriebsgesellschaft mbH