Mit oder gegen die Elemente: Herausforderungen der Bauwirtschaft

neubau kompass-Redakteurin Kerstin Funke sprach mit Dieter Schacherl vom Bund deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure E.V. (BDB) über die Herausforderungen, die der Klimawandel an die Baubranche, Kommunen sowie Immobilienkäufer und -nutzer in Deutschland stellt. Der Münchner Generalunternehmer stellte auch dar, welche Maßnahmen möglich sind, um das Eigenheim vor Wasserschäden zu schützen.

Die Folgen des Klimawandels sind deutlich sichtbar – nicht allein in den weit entfernten Dürregebieten der Welt, sondern direkt vor unserer Haustüre. Zwar gibt es in Deutschland große Gebiete, in denen das Grundwasser in bedenklichem Maße gesunken ist, doch wird in vielen Landkreisen und Städten eher ein plötzliches Zuviel an Wasser ein Problem: durch Starkregen. Die Weinbauern im Ahrtal verloren im Juli 2021 durch Unwetter und Wasserfluten ihr Zuhause und ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage. Und in München stellen sich die Stadtväter darauf ein, dass der Grundwasserpegel künftig häufiger und in sehr viel ausgeprägterem Maße schwanken wird als in der Vergangenheit.

Dieter Schacherl

„Wir müssen Wohnen neu denken, um auch in Zukunft sicher zu leben“.

Dieter Schacherl

Herr Schacherl, in den nordwestlichen Stadtgebieten von München ist das Grundwasser im Juli stellenweise innerhalb weniger Tage um bis zu 1,20 Meter gestiegen. An einigen Orten hat man in diesem Monat laut der Stadt München sogar die höchsten Pegelstände seit 20 bis 30 Jahren gemessen. Starkregen und wechselnde Pegelstände von Flüssen, aber auch Grundwasser, werden künftig in vielen Teilen Deutschlands große Probleme aufwerfen. Herausforderungen, die Bauträger und ihre Planer konstruktiv und mit Weitblick annehmen. Wie wird Wohnen in 50 Jahren aussehen? Leben wir im rundum begrünten Mehrfamilienhaus? Und wird es noch Neubauprojekte mit Wohnräumen im Souterrain geben?

Dieter Schacherl: Meiner Meinung nach liegt der Hauptgrund für die aktuelle Problematik an viel zu viel versiegelten Flächen. Das Regenwasser kann nicht mehr großflächig versickern, staut sich auf und sucht sich seinen Weg. Ich könnte mir vorstellen, dass in Zukunft der Wohnraum vor allem in Ballungszentren eher in der Höhe erweitert wird und dass die Dächer vieler Gebäude begrünt werden. Darüber hinaus könnten in stark betroffenen oder gefährdeten Gebieten zusätzliche Renaturierungsflächen einen wichtigen Ausgleich schaffen. Die nötige Größe und Anzahl der benötigten Flächen sind berechenbar und müssen der versiegelten Fläche und der entsprechenden geologischen Lage angepasst werden.

Souterrainwohnungen wurden ursprünglich zum Wohnkonzept, um aus den Bauflächen noch mehr bewohnbare Fläche zu ziehen, da diese in Ballungszentren sehr teuer sind. Generell stellt das Wohnen im Keller an sich kein Problem dar. Nur wird der Lebensraum dort häufig erst durch die Belichtung der Räume für die Bewohner attraktiv. Darin liegt die Herausforderung für den Planer und die Natur: Um Tageslicht einzufangen, werden Lichthöfe oder Abböschungen errichtet, welche dann potenzielle Sickerflächen in Anspruch nehmen. Bei Starkregen oder Hochwasser steigt dann wieder die Gefahr, dass das Wasser sich auf seine eigene Weise einen Weg bahnt. Aus diesem Grund sollten nach meiner Meinung Souterrain-Einheiten künftig vermieden werden.

Was sollten Bauträger und Immobilieneigentümer in spe grundsätzlich beim Kauf eines Grundstücks und der Planung eines Eigenheims bedenken, um die entstehende Immobilie gut, nachhaltig und ökonomisch vor Wassereinbrüchen und Hagelschäden zu schützen?

Dieter Schacherl: Ein Schutz vor Elementarschäden, wozu auch Hagelschäden gehören, beginnt grundsätzlich bereits mit der Auswahl des Grundstücks. Das Wohnen in unmittelbarer Nähe zu Gewässern oder ein Haus am Hang bringen natürlich höhere Risiken mit sich. Als Schutzmaßnahme kommen in diesen Lagen Speziallösungen zum Einsatz wie wasserdichte Keller, Lichtschächte und Fenster und/oder Stützmauern, Rigolen und Drainageleitungen. Rigolen sind Auffangbecken, die sich unter der Geländeoberfläche befinden und über einen mit Kies gefüllten Graben das Regenwasser aufnehmen und versickern. Die Industrie bietet ein großes Angebot an Produkten, welche bereits heute schon erfolgreich eingesetzt werden.

Welche Sicherheits- oder Schutzmaßnahmen, z.B. im Keller und auf dem Dach, plant ein kompetenter Bauingenieur proaktiv in einem (potenziell) gefährdeten Gebiet ein? Gibt es heutzutage speziell gegen Elementarschäden gerüstete Dachziegel oder Fenster? Plant man die Elektrik anders als „auf dem Trockenen“? Auf welche Weise können risikobewusste Hauseigentümer nachrüsten?

Dieter Schacherl: Heutzutage ist es ja modern, Häuser mit flachen Dächern zu bauen. Allerdings bieten diese Dächer eine große Angriffsfläche für Hagel. Die Hersteller wissen um dieses Problem, darum gibt es robustere Dachziegel und auch Fenster, die nur sehr schwer durch Hagel beschädigt werden können, zu kaufen. Extra-Ausgaben dafür können aber in vielen Fällen schon durch die Errichtung eines geeigneteren Dachs, etwa eines steilen Satteldachs, eingespart werden. Bei der Elektrik kann man mit guter Planung ebenfalls Risiken minimieren. Wenn ich weiß, dass mein Gebiet bereits als Hochwasser-Risiko-Gebiet eingestuft worden ist, lasse ich meine Hauselektrik und die Heizung im Erdgeschoß oder unter dem Dach installieren. Eine geschoßweise Absicherung oder Absperrmöglichkeit wäre dann ebenfalls empfehlenswert.

Bei der Möglichkeit, Häuser nachzurüsten, kommt es immer auf die Ausgangssituation an. Geht es um zu hohes Grundwasser, geht es um nah gelegene Gewässer oder ist die Hanglage das Problem? Bauherren sollten auf entsprechende Fachplaner setzen, die sich auf diese Bereiche spezialisiert haben und in Zusammenarbeit mit Fachunternehmen entsprechende Schutzvorrichtungen anbieten können.

Wie sieht es bei der Planung und Gestaltung von Gärten, Außenanlagen und gemeinsam genutzten Hofgärten aus? Gibt es in diesem Bereich Maßnahmen, die helfen können, Wasser abzuleiten oder zu speichern – oder ungünstige Maßnahmen?

Dieter Schacherl: Der Gartenbau ist meist die letzte Maßnahme beim Neubau. Dann neigt sich das zur Verfügung stehende Budget dem Ende zu. Nicht selten ist es wegen Extra-Ausgaben für eine modernere Küche, das Wellness-Bad oder wertigere Bodenbeläge überschritten. Häufig ist für den Garten dann weniger Budget vorhanden als sinnvoll oder gar erforderlich. Ich rate meinen Bauherren aber immer, den Rotstift bei der Planung und Kostenkalkulation des Gartens zu zügeln. Denn gerade die Grünflächen und Bepflanzung ist ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor Wasserschäden im oder am Haus.

Wenn die groben Auffüllarbeiten und Erdbewegungen gut ausgeführt und abgeschlossen sind, geht es an das Feintuning. Achten Sie darauf, dass möglichst wenig Fläche versiegelt wird. Ein schön eingefasster Kies- oder Splittweg macht viel her und ist für die Ableitung von Regenwasser optimal. Beim gepflasterten Weg empfehle ich, kleinformatige Pflastersteine mit hohem Fugenanteil zu verlegen. Auch der Einsatz von sickerfähigen Plattenmaterial stellt eine sinnvolle Lösung dar.

Ein gesunder Mix an Rasen-, Pflanz- und Wegeflächen, eventuell mit einer schönen Hecke oder dem Lieblingsbaum, kann dann ganz individuell, je nach Vorgabe des Freiflächenplans oder der behördlichen Vorgaben, Grundstücksgröße und eigenen Vorstellungen umgesetzt werden.

Dazu gibt es noch die Möglichkeit, sich, wie bereits weiter oben erwähnt, eine Rigole anlegen zu lassen. Da sie Wasser speichern kann, ist sie zur Bewässerung des Gartens an trockenen Tagen geeignet – somit spart man beim Gießen gleichzeitig wertvolles Leitungswasser.

Es gibt ganz klar Planungs- und Ausführungsfehler, durch die der Garten bei Starkregen oder Hagel zum Risiko für das Haus werden kann. Das fängt bereits mit dem Gefälle des Bodens zum Objekt an. Die Fläche rund ums Haus sollte niemals so geebnet werden, dass Oberflächenwasser direkt gegen das Haus fließt. Man sieht aber oft Terrassen, bei denen dieser Grundsatz nicht beachtet wurde. Auch das Anfüllen und Verdichten des ursprünglichen Bauraums und Kellers sind oft eine Ursache für Schäden am Haus. Nicht mal so selten wird vergessen, eine Noppenbahn und einen Roll-Kies-Streifen um das Haus herum zu verlegen – das stellt sich oft als Ursache für Feuchtigkeitsschäden heraus.

Wo ist ein Umdenken nötig?

Dieter Schacherl: Insgesamt wäre ein generelles Umdenken für Grundstückseigentümer an Gewässern wünschenswert. Es ist schon beeindruckend, direkt von der vorgelagerten Terrasse aus ins vorbeifließende Wasser eines Bachs springen zu können. Noch spektakulärer ist es aber, wenn das aufgrund von Hochwasser auch im Wohnzimmer möglich ist. Früher haben sich die Menschen in wohnlicher Hinsicht noch vom „großen Wasser“ ferngehalten, weil sie um die Urkraft der Flüsse wussten und noch nicht auf Biegen und Brechen alles umgeleitet und kanalisiert wurde. Damit verloren die Menschen auch einen Teil des Respekts vor dem Wasser. Das ist fatal!

Am Beispiel von München sieht man, wie sehr der Mensch in die Natur eingegriffen hat. Bis ins 19. Jahrhundert haben zahlreiche kleine Bäche – Seitenarme der Isar – das Stadtgebiet durchflossen. Nicht umsonst bezeichnete man die Stadt als Klein-Venedig. Man lebte mit den Bächen. Heute ist alles bebaut und versiegelt. Auch wenn die Isar renaturiert wurde bzw. wird, sieht man deutlich, dass wir Menschen das ursprüngliche Stadtgebiet stark verändert haben. Nun müssen wir mit steigendem und zu stark abfallendem Grundwasser leben – die Probleme damit haben wir selbst verursacht, indem wir der Natur Raum genommen haben.

Natürlich könnten wir nicht mehr in gewohnter Weise leben, wenn wir uns ständig der Natur anpassen, dafür sind wir mittlerweile zu festgefahren. Wir müssen aber einen Weg finden, wie wir trotz unserer Gewohnheiten im Einklang mit der Natur leben können und aktiven Klimaschutz betreiben. Schauen wir ins Ahrtal: Die Katastrophe von Juli 2021 war leider nicht die erste in dieser Region. Dort kam es in den letzten Jahrhunderten regelmäßig zu einer verheerenden Hochwasserflut. Der Mensch hat sich aber trotzdem mehr und mehr Raum genommen, das Thema Hochwasserschutz aber nicht ernst genug genommen. Das Schicksal der Menschen, die nun alles verloren haben, ist herzzerreißend. Man muss aber auch sagen, dass wir der Natur dort gehörig ins Handwerk gepfuscht haben. Jetzt gilt es, den Hochwasserschutz und die neue Bebauung dort naturschutzkonform neu zu konzipieren. Das ist der große Auftrag für die gesamte Gesellschaft in allen Regionen. Die Bauwirtschaft kennt viele Schutzmaßnahmen am Haus. Wir müssen aber beim Schutz der Natur und des Klimas anfangen, um nachhaltig und sicher zu bauen.

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Herr Schacherl!

Das Titelbild stammt von Markus Distelrath, gefunden auf Pixabay.

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