Klimaschutz ist im Gebäudesektor durchaus eine Erfolgsgeschichte. Immerhin sank der CO2-Ausstoß zwischen 1990 und 2020 um über 40%. Doch die Bilanz der Vergangenheit ist hart erkauft: Während die Lebenshaltungskosten zwischen 2000 und 2020 inflationsbedingt um 33 Prozent stiegen, erhöhten sich die Bauwerkskosten um 70 Prozent. Energiesparverordnung, Wärmeschutzverordnung, Heizungsanlagen-Verordnung, Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – jede Maßnahme trug ihren Teil zur Verteuerung bei. Doch es gibt Möglichkeiten, ökologische und ökonomische Effekte zu reduzieren. Lesen Sie, wie Redevelopment dazu beitragen kann.
„Ein aktuell frei finanziert errichteter Wohnungsbau lässt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Kaltmiete von unter ca. 12,50 € nicht mehr zu“, urteilte die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE e.V.) bei einer Stellungnahme im Bundestag zum Thema Bauwende entsprechend ernüchternd. „Dazu kommt verschärfend: Von einer Realisierung der notwendigen Größenordnung neuer Wohnungen zur Deckung des tatsächlichen Bedarfs an bezahlbarem Wohnraum ist Deutschland – in den meisten Regionen – derzeit weit entfernt. Der Gebäudesektor scheint so vor einer unlösbaren Aufgabe zu stehen, schließlich soll auch er bis 2045 klimaneutral werden, obwohl „der Spielraum für weitere strukturelle Veränderungen und eventuelle baukostentreibende Auflagen derzeit ausdrücklich im Segment des Bezahlbaren Wohnraums vollständig ausgeschöpft“ ist. Doch es gibt einen Ausweg aus dem Dilemma.
Redevelopment – die Neuentwicklung von Bürogebäuden
Vierteljährig untersucht der Immobilienspezialist JLL die Büromarktentwicklung in den Big-7-Städten Deutschlands (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München, Stuttgart). Das Ergebnis überrascht, denn obwohl weiterhin Büroflächen gebaut werden und die Büromieten steigen, gibt es immer mehr Leerstände. Zum Jahresende wird mit einem Leerstand von 4,6 Prozent gerechnet und im nächsten Jahr dürfte die 5-Prozent-Marke überschritten werden.
Der Grund liegt in einem strukturellen Wandel der Arbeitswelt, der coronabedingt einen zusätzlichen Schub erhalten hat. Die Homeofficepflicht zwang Unternehmen dazu den großen Schritt in die digitale Zukunft zu gehen. Videochats und andere Tools zur digitalen Kooperation bewiesen, dass auch über die Distanz eine Zusammenarbeit produktiv ist. In der Konsequenz wird in vielen Unternehmen das Homeoffice auch in Zukunft zumindest als Möglichkeit bestehen bleiben. „Vermehrtes Remote Working mit der entsprechenden Verschiebung von Belegungsspitzen und Zeiten geringerer Belegung sorgen für große Schwankungen im Flächenbedarf“, bemerkt Stephan Leimbach, JLL Head of Office Leasing Germany, hierzu. Die existierenden Büroportfolios für Angestellte, die jeden Tag in den Geschäftsräumen erwartet und entsprechend nach Fläche pro Mitarbeiter kalkuliert werden, haben so ausgedient. „Also wächst das Interesse an neuen Messgrößen, etwa für die technische Smartness von Gebäuden, für ihre Anpassungsfähigkeit oder für den Anteil flexibler und innovationsfördernder Flächen“, so Leimbach. Neue Messgrößen für Gebäude, die erst noch errichtet werden müssen, um den Anforderungen der Arbeitswelt der Zukunft Rechnung zu tragen.
Die Alternative zum Abriss spart bis zu 90 % CO2
Für die alten nun leerstehenden Gebäude gibt es neben dem Abriss mit dem Redevelopment eine zugleich umweltschonende als auch kostengünstige Alternative. Insbesondere die sogenannte graue Energie, die nicht im Betrieb, sondern in vor- und nachgelagerten Prozessen im Gebäudelebenszyklus anfällt, kann nur durch eine lange Nutzung des Gebäudes relativiert werden. „Es geht längst nicht mehr nur um die unbedingte Profitmaximierung, sondern mehr denn je um die Erhaltung unserer Lebensgrundlage“, mahnt Timo Brehme, geschäftsführender Gesellschafter der CSMM GmbH. „Die Bauwirtschaft kann einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn sie vorhandenen Beton nutzt.“ Dies bemerkte auch die UN 2019 in ihrem Global Status Report for Building and Construction und empfahl deshalb weniger Gebäude abzureißen. Die CO2-Einsparungen beziffert Brehme auf 80 bis 90 Prozent, wobei die Reduzierung, die ein saniertes Bauwerk mit neuer Technik, Dämmung und Heizung im langfristigen Betrieb mit sich bringt noch nicht eingerechnet ist. Neben ökologischen sprechen auch ökonomische Aspekte für ein Redevelopment. „Die Weiternutzung der vorhandenen Tragstruktur, vorhandenen Infrastruktur und Erschließung etc. machen in der Regel Lösungen möglich, die weniger als 50 % der Kosten verursachen, die für einen vergleichbaren Neubau von Wohngebäuden aufgewendet werden müssten,“ beziffert die ARGE das Einsparpotenzial. „Ein weiterer, ausgesprochen positiver Effekt für Stadt- und Raumplanung ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass der überwiegende Teil der deutschen Bürogebäude im städtischen Zusammenhang und den Ballungsräumen angesiedelt ist, und somit neu geschaffener Wohnraum zielgerichtet in den Innerstädten (wieder) entstehen kann.“
The Q
Ein Beispiel für ein solches Redevelopment-Projekt ist The Q in Nürnberg unter der Leitung der GERCHGROUP AG. Der ikonische Anfangsbuchstabe und die Bausubstanz sind dabei alles, was vom ehemaligen Quelle-Versandzentrum übrigbleibt. Der denkmalgeschützte Gebäudekomplex wird in den nächsten Jahren in verschiedenen Bauteilen zu einer modernen, marktkonformen Mix Use Immobilie umgebaut. Seit diesem Jahr entstehen auf einer Baugrundfläche von ca. 170.000 m² rund 1.100 Wohnungen und Flächen für den Einzelhandel. Zudem wird auf dem Areal auch ein neues Behördenzentrum angesiedelt sein.
„In punkto Energieverbrauch und Wärmeschutz“, verspricht der Vorstandsvorsitzende der GERCHGROUP AG, Mathias Düsterdick, „wird das ganze Objekt Standards wie ein Neubau erfüllen.“ Der erste Bauabschnitt soll bereits 2024 fertiggestellt werden und Düsterdick zeigt sich hinsichtlich dieses Zeitrahmens zuversichtlich: „Seit wir das ehemalige Quelle Versandzentrum im Jahr 2018 angekauft haben, konnten wir alle wichtigen Schritte bei dem Development im von uns vorgesehenen Zeitrahmen durchführen.“
View 180
Bereits im 1. Quartal 2023 soll die Umwandlung des Frankfurter Bürokomplexes „Sky:View“ zum Wohnobjekt „View 180“ abgeschlossen sein. „Durch die optimalen Deckenhöhen von über 3,00 Meter und die großen Fensterflächen, die für ideale Lichtverhältnisse und einen unvergleichbaren Blick auf die Frankfurter Skyline sorgen, verfügt das Objekt über alle Voraussetzungen für eine Umwandlung, um der großen Nachfrage nach Wohnraum in Frankfurt und diesem begehrten Stadtteil Sachsenhausen gerecht zu werden,“ betont Jan Ludwig, Associate Director im Bereich Residential Investment bei Colliers International Frankfurt die Vorzüge. Der Immobilienberater war 2017 für die Transaktion des Objekts an den jetzigen Projektentwicker IBER Immobilien zuständig.
Das siebgeschossige Gebäude, zu dem auch zwei Tiefgaragen mit rund 290 Pkw-Stellplätzen gehören, wurde erst 1991 errichtet und soll nun schon umfunktioniert werden. Auf den 24.000 Quadratmetern vermietbarer Fläche sollen Wohneinheiten von 40 – 240 m² entstehen mit einer Raumaufteilung zwischen 1,5 bis 5 ZKB. Zudem sind dort auch Geschäfte sowie eine Kita geplant.
In Deutschland existieren zurzeit ca. 350 Millionen m² Nutzfläche in Büros und Verwaltungsgebäuden. Laut ARGE sind 50 % davon mit geringem oder mittlerem baulichem Aufwand für den Umbau und die Umnutzung zu Wohnungen geeignet. Viel Potenzial also für weitere Projekte wie The Q oder View 180 um die Erfolgsgeschichte des Klimaschutzes im Gebäudesektor fortzuschreiben.
Für die Vielzahl an Redevelopment-Projekten bekannt ist der Standort Niederrad in Frankfurt. Die ehemalige „Bürostadt“ mausert sich durch Umnutzung und Neuentwicklung von Bürogebäuden zum Wohnquartier. Hier entsteht zum Beispiel das Neubauprojekt livinit Frankfurt mit 395 Apartments.
Text: Andreas Fuhrich
Titelbild: Pexels / Adrien Olichon
Klimaschutz im Gebäudesektor bleibt ein herausforderndes Thema. Die Branche wird kreativer denn je. Lesen Sie, wie sich durch Urban Mining clever Ressourcen sparen lassen.