Kunststoff gilt heute als unverzichtbares, aber oft auch kurzlebiges Material, das durch seine hohe Haltbarkeit zum Problem für die Umwelt wird, sofern man es nicht recycelt. Einer Studie zufolge wurden weltweit nur knapp zehn Prozent aller Kunststoffabfälle wiederverwertet, die zwischen 1950 und 2015 entstanden. Dabei lässt sich aus Kunststoff viel machen – zum Beispiel ein neues Haus bauen.
Die globale Kunststoffindustrie hat sich in dem Firmenbündnis Alliance to End Plastic Waste zusammengeschlossen, um gemeinsam Veränderungen voranzubringen. Durch chemische oder mechanische Prozesse sollen hochwertige Kunststoffe in neue zirkuläre Geschäftsmodelle überführt werden – auch als Problemlöser für nachhaltiges Bauen.
Allein in Europa fallen jährlich 29 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Neue Anlagen zur umweltfreundlichen Wiederverwertung produzieren hochwertige Kunststoff-Rezyklate und tragen so auch zum Erreichen von Green Deal Zielen der EU bei. Deutschland gilt als beispielgebend dafür, was mit der richtigen Infrastruktur erreicht werden kann: Ein Großteil des Bauschutts aus Plastik wird hier wiederverwendet, während im Vergleich viele Mittelmeerländer das meiste davon zu Deponien schicken.
Im Juni 2021 verabschiedete das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen das Landes-Kreislaufwirtschaftsgesetz, das die Ressourcenschonung und das Recycling auch von Kunststoffen forcieren soll und das eine Verpflichtung zum Vorzug von Rezyklaten beinhaltet.
Über 50 verschiedene Kunststoffe kommen heute in der Baubranche zum Einsatz. Die „großen drei“ Kunststoffarten im Bauwesen sind:
• Polyvinylchlorid (PVC) – für Fensterrahmen, Boden- und Wandbeläge sowie Dacheindeckung
• Polyethylen (PE) – für Rohre und zum Isolieren von Kabeln
- Polystyrol (PS) – als Isolierschäume für Bad und Küche
Neben der langen Lebensdauer von durchschnittlich 50 Jahren, hohen Antikorrosions- und Brandsicherheitswerten sowie guten Isolierungs- und Hygieneeigenschaften bei hoher Kosteneffizienz bieten Kunststoffe unzählige Möglichkeiten bei Design und Farbwahl.
Innovationen bei Planung und Fertigung tragen dazu bei, dass recycelte und pflanzenbasierte Kunststoffe als Baumaterialien der Zukunft gehandelt werden. In Deutschland geht der Hausbau zwar meist noch wie vor 50 Jahren vonstatten: Handwerker vor Ort fügen die Materialien individuell zusammen. Verlagert man diese Prozesse in Fabriken, lassen sich die Baukosten um ein Drittel senken, die Bauzeit wird um die Hälfte reduziert und es fällt weniger Abfall an.
Dem Cradle-to-Cradle-Prinzip folgend sollen zukünftig möglichst viele Bauteile nach dem Ende der Gebäudelaufzeit weiter verwendbar sein, neue Häuser werden so zum „Materiallager der Zukunft“. Wie Plastik in der Baubranche nachhaltig genutzt werden kann, stellen wir hier vor.
Kenianerin produziert Bodenbelag aus recycelten Kunststoffen
Nicht nur Chemiekonzerne beschäftigen sich mit der Wiederverwendbarkeit von Plastik, auch für Startups eröffnen sich neue Chancen. Die Kenianerin Nzambi Matee sorgte im Sommer 2021 für Schlagzeilen mit ihrem Unternehmen Gjenge Makers, das in einer Fabrik in Nairobi Ziegel aus recyceltem Plastik fertigt, die fünf Mal so hart sind wie Beton. Die Steine werden als Bodenbelag vor Schulen verlegt. Die Rohstoffe erhält sie teils gratis von Verpackungsproduzenten. Aus Polyethylen und Polypropylen werden nach Zugabe von Sand rund 1.500 Ziegel pro Tag gebrannt, die zum Stückpreis ab 7,70 US-Dollar in den Verkauf gehen. Matee, eine Materialingenieurin, entwickelte für den Prozess ihre eigenen Maschinen, seit der Gründung von Gjenge Makers im Jahr 2017 konnte sie bereits 20 Tonnen Plastikmüll recyceln.
Pretty Plastic fertigt Fassaden aus Altpastik
Die Architekten der niederländischen Studios Overtreders W und Bureau SLA stellten Anfang 2020 das erste Fassadenmaterial Pretty Plastic aus zu 100 Prozent upgecyceltem Kunststoff vor (Bild).
Für ihre Schindeln werden ausrangierte PVC-Fenster und Dachrinnen in neue Formen gegossen. Wie sich Gebäude damit gestalten lassen, zeigt als Pilotprojekt der Neubau eines Musikpavillons in Oosterhout, für den 9.000 graphitgraue Kunststoffquadrate an jeweils einem Nagel befestigt wurden. Die Konstruktion fixiert sich in Summe gegenseitig, wodurch Material eingespart wird. Mittlerweile werden die Plastikschindeln in drei Farbpaletten angeboten. Sie schützen die Wände vor Feuchtigkeit, vermindern die Brandgefahr und geben der Fassade einen modernen Look.
Umweltfreundliche Kunststoffe in der Architektur
Um Kunststoffe neben nachwachsenden Rohstoffen wie Holz nachhaltig in die Kreislaufwirtschaft integrieren zu können, verfolgt man zwei Ansätze: Zum einen werden bereits vorhandene Kunststoffe recycelt, zum anderen entwickelt man neue pflanzenbasierte Biokunststoffe.
Das niederländische Unternehmen Pyrasied vertreibt innovative Kunststoffe für die Baubranche, darunter eine umweltfreundliche Linie mit sechs Rezyklaten, die Architekten und Interieur Designern mit einer breiten Palette an Farben und Strukturen viel Raum für Kreativität bieten.
Smile Plastics® ist ein Produkt aus zu 100 Prozent recycelten PET-Kunststoffabfällen (vom Joghurtbecher bis zur Wasserflasche), das in Platten von 12 und 20 mm gepresst wird. Durch die sehr gute Brandklassifizierung lässt sich das Material als bisher einziger Kunststoff sogar für öffentliche Räume nutzen, die höchsten Sicherheitsbestimmungen unterliegen – wie eine Business Lounge am Flughafen. Die Platten aus Smile Plastics lassen sich innen und außen verbauen.
Im Bereich Acrylglas (PMMA) wird als „grüne“ Alternative Greencast® für Doppelfenster oder Innenverglasung angeboten. Hergestellt aus zu 100 Prozent recyceltem Acrylglas, ist es im Glaslook sowie in Rot, Hellblau, Blau und Grün erhältlich. Greencast®ist UV-beständig und als zirkuläres Material immer wieder verwendbar.
Im Gegensatz zu herkömmlichem Plastik aus Erdöl werden pflanzenbasierte Kunststoffe aus Mais oder Zuckerrohr hergestellt. Letztere gelten als nachhaltiger, denn Pflanzen binden CO2 und kompensieren so den Kohlenstoff, der bei der Entsorgung von Bioplastik anfällt. Auch Algen lassen sich zu biologisch abbaubaren Polyurethanen verarbeiten.
Ein Blick in die Zukunft
Der 3D-Druck verändert den Einsatz von Kunststoffen im Bauwesen maßgeblich und bietet Architekten völlig neue Freiheiten bei Gestaltung und Farbgebung.
- Hochtransparente Photovoltaikzellen werden für stromerzeugende Fenster auf Kunststofffolien gedruckt.
- Architekten und Designer verwenden Acrylplatten und faserverstärkte Kunststoffe, um Gebäude in jede beliebige Form zu bringen.
- Korrosionsbeständigkeit, geringes Gewicht und hohe Festigkeit faserverstärkter Kunststoffverbundmaterialien sorgen für dauerhafte Tragfähigkeit und ermöglichen selbst den Bau von gewichttragenden Konstruktionen wie Brücken.
Bereits 2015 wurde ein begehbarer 3D-gedruckter Pavillon auf der Bejing Design Week gezeigt. Seither integrieren Planer weltweit immer öfter die additive Fertigung in ihre Produktionsprozesse. Bisher ungesehene Formen und komplexe Geometrien sind damit heute einfach umsetzbar. Ein weiteres Plus sind Materialeinsparungen beim Bau ohne Abfälle und die Minimierung von Arbeitskräften vor Ort durch die dezentralisierte Fertigung ohne Lagerung oder weltweite Transporte, wodurch der CO2-Fußabdruck der Branche minimiert wird.
Das aktuell größte Upcycling-Projekt aus dem 3D-Drucker, das beispielgebend für die Architektur der Zukunft sein dürfte, ist ein rosa Pavillon für den Happy-Valley-Vergnügungspark in Nanjing, China.
Die Planungsbüros Archi-Union Architects und Fab Union legten dafür eine mehrdimensionale, hyperbolische Geometrie auf einer Grundfläche von 1950 m² an. Das Gebäude erstreckt sich über 52 Meter Länge und 25 Meter Breite, die Außenfläche wurde verkleidet mit Platten aus UV-beständigem Thermoplast. Der Maßstab stellte eine Herausforderung dar. Erst über einen neuen, vom 3D-Model abgeleiteten Algorithmus konnte die notwendige Präzision bei der Aufteilung der Platten garantiert werden. Diese Herangehensweise wird den Hausbau nachhaltig revolutionieren und das Stadtbild auf lange Sicht völlig verändern.
Text: Birgit Unger
Lesen Sie mehr aus unserer Reihe „Innovation“ – zum Beispiel das Interview mit der PERI-Group zu Deutschlands erstem Mehrfamilienhaus aus dem 3 D-Drucker
Titelbild: Rosa Pavillon / entwickelt von Archi-Union Architects und Fab Union