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Mit nachhaltigen Materialien im Wohnungsbau Klimaziele erreichen

Mit der Agenda 2030 geht die internationale Staatengemeinschaft gemeinsam Klimathemen an. Im Mittelpunkt stehen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), die Nachhaltigkeit unter Berücksichtigung von Sozialem, Umwelt und Wirtschaft definieren. Das elfte Ziel fordert explizit zur nachhaltigen Gestaltung von Städten und Siedlungen auf. Lesen Sie, welche nachhaltigen Materialien die Baubranche (wieder)entdeckt hat, um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen.

Die Bevölkerungsdichte in Städten steigt zunehmend, bis 2050 werden voraussichtlich 80 Prozent der Weltbevölkerung in Ballungsgebieten leben. Effizienz im Wohnungsbau sowie im Energieverbrauch sind daher für den Klimaschutz unerlässlich. Bei der Energiewende gilt Deutschland als Pionier, seit 1990 konnten hier die CO2-Emissionen um 27 Prozent gesenkt werden. In anderen Bereichen müsste die Entwicklung noch an Tempo gewinnen. Deutsche Architekten entwerfen zwar zunehmend Passiv-Häuser, die kaum Energie verbrauchen oder Überschuss produzieren, bisher wird aber durch Niedrigzinskredite die Modernisierung von Bestandsimmobilien subventioniert, wodurch noch zu wenige Neubauten entstehen. Bleibt man bei dieser Strategie, werden wohl bis 2050 nicht alle Gebäude klimaneutral sein. Die Baubranche ist bis dato weltweit für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sowie für die Hälfte aller Abfälle.

Neue Baumaterialien sind gefragt

Der Paradigmenwechsel im Bauwesen bedingt das Umdenken bei der Wahl der Materialien. Bisher war Stahlbeton der wichtigste Baustoff Deutschlands, der aber durch hohen Rohstoffverbrauch sowie Kohlendioxidausstoß einen signifikanten Klimafußabdruck hinterlässt. Durch die großmaßstäbliche Umsetzung von CO2-armen bis CO2-freien Zement-Herstellungsmethoden sollen die Treibhausgasemissionen gesenkt werden. Carbonbeton wurde als weniger materialintensive Alternative entwickelt. Der Werkstoff aus Hochleistungsbeton und Carbon anstelle von bisher üblichem Stahl muss nicht mehr vor Korrosion geschützt werden. Carbon kann aus Pflanzen, Gestein und Luft gewonnen werden. Neue Forschungen beschäftigen sich mit der Gewinnung aus Lignin, Holz aus Abfallprodukten der Papierherstellung. Bis zu 80 % Materialverbrauch wird bei der Leichtbauweise mit Carbonbeton eingespart, das reduziert den CO2-Ausstoß und schont Ressourcen. Carbonbeton ist leichter und widerstandsfähiger, der Verbundstoff bietet Architekten daher neue Möglichkeiten bei der Gestaltung von Gebäudegeometrien. Die erwartete Nutzungszeit liegt bei 200 Jahren anstelle der bisher üblichen 80 Jahre für Gebäude aus Stahlbeton.

Fassade aus Carbonbeton. Copy: Solidian

Die Kosten für Carbonbeton liegen deutlich über denen für Stahlbeton, werden aber durch Festigkeit und Korrosionsbeständigkeit ausgeglichen. Deutsche Wissenschaftler arbeiten seit 2008 zusammen an dem Projekt C3 – Carbon Concrete Composite, um die Carbonbetonbauweise als neuen Standard zu etablieren. Auch für Abbruch, Rückbau und Recycling von C³-Bauteilen werden Versuchsreihen durchgeführt. Die Trennbarkeit von Carbon und Beton kann bereits gewährleistet werden, die Ergebnisse zum Abbruch- und Recyclingverhalten von C³-Baustoffen sind durchweg positiv.

Baustoffe der Zukunft

Die Baumaterialien von morgen sollen ganzheitlich in eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft passen: Produziert mit geringem Energieaufwand und ressourcenschonend, langlebig, recycelbar und frei von Schadstoffen. Noch liegen die Baukosten für „grüne Immobilien“ oft über denen konventioneller, die steigende Nachfrage nach nachhaltigen Baustoffen führt aber dazu, dass Wissenschaftler weltweit an Materialinnovationen arbeiten, die teils auf traditionelle Bauweisen zurückgreifen. Die Top 3 der Neuerungen für mehr Nachhaltigkeit im Bauwesen haben wir hier zusammengestellt.

Prüfung Materialprobe Klimakammer Copy: Solidian

Holzrahmen im Hochhausbau

Der Hausbau mit Holz als nachwachsendem Rohstoff mit guter Ökobilanz spart CO2 ein. Mittlerweile werden auch mehrgeschossige Wohnbauten in Holzbauweise umgesetzt, das aktuell größte mit 24 Stockwerken steht in Wien. Das Hoho gilt als richtungsweisend für die Verwendung von Holz im modernen Hochhausbau. Obwohl der Kaufpreis dank der hohen Nachfrage steigt, gilt Holz als günstiger Rohstoff. Mit vorgefertigten Teilen lässt sich der Bau schnell realisieren, dennoch liegen die Produktionskosten oft über denen eines Massivhauses. Der moderne Holzrahmenbau bietet unzählige Gestaltungsmöglichkeiten, Holz als Baustoff wird durch Forschung und Behandlung ständig weiterentwickelt. Trotz niedrigem Eigengewicht weist Holz eine hohe Festigkeit auf, wärmedämmende Gebäudehüllen sind bereits mit geringen Wandstärken planbar.

Lehm und Agrarbeton als nicht-tragender Raumabschluss

Bild: pixabay/Stux

Lehm gilt als nachhaltiger Baustoff aufgrund der geringen Herstellungsenergie bei ausreichender Festigkeit. In Kombination mit Holz und Dämmmaterial aus Naturfasern lässt sich Lehm ressourcenschonend als nicht tragender Raumabschluss einsetzen, sofern er durch einen Kalkputz wetterfest stabilisiert wird. Die Mischung aus Ton, Sand und Feinsand ist schadstofffrei, vollständig recycelbar und deutschlandweit regional verfügbar, was für kurze Transportwege sorgt. Lehm konserviert Holz und eignet sich daher zum Verputzen von Holzkonstruktionen oder von Mauerwerk aus Ziegelsteinen. Lehmmassivbau in seiner nachhaltigen Form ist aufgrund der bauphysikalisch erforderlichen hohen Wanddicke nicht sehr verbreitet. Zwar nutzt man Lehm heute auch im Fertigbau, doch werden dafür tragende Teile mit einer Schicht Beton gefertigt. Lehm ist in seiner reinen Form unendlich wiederverwendbar. Um ihn für tragende Elemente nutzbar zu machen, führt man ihm Kalk oder Zement zu, wodurch er aber seine Reversibilität einbüßt und laut der in Deutschland gültigen Lehmbau-Regeln nicht mehr als Lehmbaustoff bezeichnen werden darf. Die Kosten für Bauten mit Lehmziegeln liegen rund 20 Prozent über denen mit gängigen Materialien.

Hanfbeton als Alternative?

Alternativ ist Hanfkalk, ein Verbundstoff aus dem Leichtholz der Hanfpflanze mit einem kalkhaltigen Bindemittel, ein natürlicher Baustoff für Wände, Dächer und Böden. Hanfbeton wird in Schalungen gestampft oder in Blöcke gepresst verbaut. Durch seine niedrige Dichte wird das Material beim mehrgeschossigen Wohnungsbau immer in Verbindung mit einem lastabtragenden Ständerwerk verwendet. Für die Produktion von Hanfsteinen benötigt man eine Maschine, durch die Lufttrocknung ist der Prozess aber sehr umweltschonend. Es werden keine synthetischen Brandhemmer zugegeben wie es bei Dämmmaterial sonst üblich ist, denn durch die Beimischung von Kalk brennen Hanfsteine ohnehin nicht. Die bauphysikalischen Eigenschaften erlauben es, auf weitere Dämmung zu verzichten. Mit einer Mauerstärke von 45 Zentimetern erreicht man Passivhausstandard. Hanfsteine speichern Wärme und reflektieren sie, dämmen Schall und regulieren die Akustik. Ähnlich wie Lehm nimmt Hanfbeton Feuchtigkeit aus der Luft auf, die Luft wird gereinigt und desinfiziert wieder abgegeben. Meist installiert man in Hanfbetonbauten daher keine Klimaanlage. Hanfsteine sind kompostierbar oder im Ganzen wiederverwendbar.

3D-Druck mit natürlichen oder recycelten Baustoffen

Ein „Quantensprung“ im nachhaltigen Bauwesen, der durch modernste Technologien erst möglich wurde, ist der 3D-Druck mit lebenden Biomaterialien. Die automatisierte Umsetzung von Planungen für den Hausbau durch mobile Roboter trägt zur Reduzierung von verwendetem Material und zur Minimierung von Bauschutt bei. Im ersten Schritt wurden kleine Wohneinheiten aus dem 3D-Drucker meist mit Beton umgesetzt. In Deutschland entstanden erste Ein- und Mehrfamilienhäuser im 3D-Druck-Verfahren Anfang 2021. Die Baukosten liegen aktuell noch etwa gleich auf mit denen für herkömmliche Massivbauhäuser, die Entstehungszeit eines Stockwerks minimiert sich aber von bisher rund einer Woche mit fünf Maurern auf nun zwanzig Stunden mit zwei Technikern. Startups der Branche testen umweltfreundlichen Stampflehm, recyceltes Plastik oder Edelstahl als nachhaltige Materialien für den 3D-Druck im Hausbau.

An der TU München wurde kürzlich ein transluzentes Fassadenelement entwickelt, das Lichtdurchlässigkeit, Sicht- und Sonnenschutz sowie Wärmedämmung und Witterungsschutz vereint. Das Multifunktionselement aus recycelten PET-Flaschen ist ein Pilotprojekt, um herkömmliche Konstruktionen aus Wand und Fenster im 3D-Druck zu ersetzen, wenn es in die Massenfertigung geht.

Traditionelle Werkstoffe mit neuen Technologien verarbeiten

Für den nachhaltigen Wohnungsbau bietet die Rückbesinnung auf traditionelle Bauweisen mit Holz für Strukturen, Lehm oder Hanfbeton zum Auskleiden und Naturstein für Bodenbeläge interessante Möglichkeiten. Durch die neue Bauweise mit 3D-Druckern ergeben sich innovative Gestaltungsmöglichkeiten, die den Hausbau auf lange Sicht revolutionieren dürften, doch werden durch die Maße der Maschinen den Bau-Projekten in ihrer Größe bisher noch Grenzen gesetzt.

Die Verwendung von kohlenstoffarmen Baumaterialien wie Holz mit einem hohen Recyclinganteil und nachhaltigerem Beton wird entscheidend sein, um den CO2-Fußabdruck von Gebäuden zu reduzieren. Laut des Cradle-2-Cradle-Prinzips wird in der Baubranche ein generelles Umdenken nötig, um Gebäude nicht nur in Teilbereichen mit umweltfreundlichen Materialien zu konstruieren, sondern sie auch zur Gewinnung von Sonnen- und Windenergie oder über die Fassaden- und Dachgestaltung mit Grünflächen nachhaltiger zu nutzen.

Nachhaltigkeit beim Neubau – ein spannendes Thema, zu dem wir Sie ab jetzt regelmäßig mit aktuellen Informationen versorgen. Lesen Sie wie Neubau-Immobilien aus dem 3-D Drucker entstehen.

Text: Birgit Unger

Unser Titelbild zeigt das derzeit größte Hochhaus in Holzbauweise: Roots Hamburg

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