Außenansicht vom Wabenhaus: Ein Gebäude aus sechseckigen, horizontal aufeinander gestapelten Röhren.

Interview mit Architekt Peter Haimerl – Wohnen wie die Bienen im „Wabenhaus“

Eine Bienenwabe an der Hauswand ist nichts Ungewöhnliches. Eine Wabe als Wohnhaus? Das gibt es bisher nur einmal: im Münchner Stadtteil Riem. Hier hat der Architekt Peter Haimerl das „Wabenhaus“ realisiert, ein Wohngebäude aus sechseckigen, horizontal aufeinander gestapelten Röhren. Wir haben mit Peter Haimerl über das innovative Wohnkonzept gesprochen.

Porträtfoto von Architekt Peter Haimerl. Er lehnt sich mit dem linken Arm auf eine Fensterbank.

Peter Haimerl

Peter Haimerl, gebürtig aus Niederbayern, ist 1980 zum Studium nach München gekommen, wo er 1991 sein eigenes Architekturbüro gründete. Seitdem hat er zahlreiche innovative Gebäude entworfen, darunter das Wabenhaus, ein Architektur-Highlight im Münchner Osten.

Fotograf: Edward Beierle

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Herr Haimerl, Ihr neuestes Projekt – das Wabenhaus – ist ein echter Hingucker. Wie kam Ihnen die Idee dazu?
Peter Haimerl

Die Idee hatte ich schon während meines Studiums, als ich mich theoretisch mit Architektur beschäftigt habe. Ich stellte fest, dass die moderne Architektur in einer Art Sackgasse steckt und es, vor allem im Bereich des Städtebaus, kaum mehr Entwicklungen gibt. Moderne Städte könnte man jedoch technologisch und gedanklich weiterdenken und so mehr Räume schaffen, die anderes Raumerleben ermöglichen. Die Idee des Wabenhauses ist, dass man über schiefe Ebenen auf jede beliebige Höhe in der Wohnung und auch innerhalb des Gebäudes gelangen kann. Man bewohnt also nicht nur die Bodenfläche, sondern lebt auch auf den gekippten Flächen, Wände verschwinden und werden zu Verbindungstreppen oder Raumtaschen. Die Grundfläche vergrößert sich so und der Raum weitet sich. Das Wabenhaus ist das erste seiner Art, das fertig gebaut wurde.

Wohn-Essbereich im Inneren des Wabenhauses. Die schiefen Ebenen sind als Sitzbänke gestaltet, die Wände sind "roh" im Loft-Stil.
In der Wabe dienen auch die schiefen Ebenen als Wohnraum. © Edward Beierle
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Wie unterscheidet sich das Wohnkonzept von herkömmlichen Häusern?
Peter Haimerl

In normalen Wohnhäusern werden Böden und Wände zu Boxen innerhalb einer Schachtel kombiniert. Man wohnt also in Räumen, die horizontal und vertikal strukturiert sind. Die Wabe jedoch setzt sich aus sechseckigen, horizontal aufeinander gestapelten Röhren zusammen, die zu einem beliebig großen Wabenstock zusammengefügt werden können. Die Hexagonalstruktur erlaubt zudem räumliche Verschachtelungen und unzählige Kombinationsmöglichkeiten von Raumeinheiten.

Seitenansicht des Wabenhauses. Davor und seitlich befinden sich grüne Sträucher und kleine Bäume.
Die Wabe besteht aus sechseckigen Modulen, die in die Höhe oder Breite wachsen können. © Edward Beierle
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Gibt es in Deutschland baurechtliche Einschränkungen, um Projekte wie das Wabenhaus umzusetzen?
Peter Haimerl

Die Wabe orientiert sich an allen bestehenden gesetzlichen Vorgaben. Das zukünftige Konzept der Wabe wird auf einer seriellen Bauweise basieren. Hier bietet sich baurechtlich die Möglichkeit einer Typengenehmigung. Das würde die Planungs- und Genehmigungszeit erheblich verkürzen. Die Absicht der Bundesregierung, vereinfachte Bauregeln gesetzlich vorzuschreiben, würde ebenfalls zur Optimierung des Produktes beitragen. Die Kosten könnten gesenkt und die Ausführungsdetails schadensicherer umgesetzt werden, da verringerte Anforderungen auch eventuelle Nachforderungen minimieren. Schlechtere Schalldämmwerte z.B. stellen dann keinen Mangel mehr dar. Das wiederum hat Auswirkungen auf Details, die sinnvoller gestaltet werden können und nicht jedem Maximal- und Extremfall standhalten müssen.

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Sind weitere Wabenhäuser geplant?
Peter Haimerl

Die Wabe ist ein Bauelement, das ich anderen Architekt*innen und Bauträgern anbiete. Hier trete ich in meiner Rolle als Bauarchitekt zurück und möchte andere Architekt*innen dabei unterstützen, einfacher, kostengünstiger, aber vor allem mit weniger Ärger und komplett neu gedacht zu arbeiten. Ich biete also ein Tool mit 3 verschiedenen vorfabrizierten Elementen, die man, je nach Anforderung, zu Clustern zusammenstellen kann und in denen alle Leitungen verlegt sind. Das erspart den Architekt*innen die Detailplanung.

Ein Blick ins Schlafzimmer der Wabe: Das Bett ist an der schiefen Ebene am Ende des Raums befestigt, die seitliche sechseckige Wand ist als Einbauschrank gestaltet.
Komplett neu gedacht: In den vorfabrizierten Waben-Modulen sind alle Leitungen bereits verlegt und die Möbel werden maßgeschneidert angeboten. © Edward Beierle
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An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Peter Haimerl

Ich arbeite immer wieder an innerstädtisch schwierigen Projekten, wo Denkmalschutz und der Umgang mit der Architektur der Moderne aufeinandertreffen. Oft sind es Projekte, an denen andere scheitern, weil herkömmliche Strategien nicht greifen. Manchmal biete ich auch die Wabe an, da man ihre Module gut in gewachsene Strukturen integrieren kann.

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Sie beschreiben die deutsche Neubaulandschaft folgendermaßen: „Das ist die Kulisse unseres Alltags, eine Collage aus den immer gleichen Elementen. Ein trauriger, urbaner Loop aus Einfallslosigkeit und Langeweile.“ An was liegt das Ihrer Meinung nach?
Peter Haimerl

Die architektonische Monotonie der Gegenwart liegt darin begründet, dass sich die Architekt*innen den ökonomischen Zwängen beugen und sie diese sowie die Gesetzmäßigkeiten der Moderne zum Teil verinnerlicht haben: Erst „Licht-Luft-Sonne“, dann „Verkehr“ und jetzt ist es die Maxime „Nachhaltigkeit“. Leider haben wir historische Errungenschaften des europäischen Städte- und Wohnungsbau zugunsten von ideologischen Themen aufgegeben. Wenn man heute z.B. Nachhaltigkeit fordert, dann reicht das und andere Erfordernisse, v.a. an Raumqualitäten sind völlig gleichgültig. Alle orientieren sich nur an diesen ideologischen Schlagwörtern, und entsprechend schaut es dann aus, sprich wir haben einen räumlichen Verlust.

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Von wo muss der Impuls kommen, dass sich architektonisch etwas verändern kann?
Peter Haimerl

Das Allerwichtigste ist, dass Architekt*innen wieder anfangen, an die städtebauliche und architektonische Geschichte anzuknüpfen. Sie müssen unbedingt Konzepte entwickeln, die wirtschaftlich sind und zeitgemäß produziert werden. Wir bauen leider immer noch, wie vor 100 Jahren, obwohl die Gebäude eigentlich absolute Hightech-Produkte sind. Aber diese Komplexität wird nicht in einer neuen Struktur abgebildet, in einer neuen Art, Häuser zu entwerfen und zu bauen. Wir brauchen eine zeitgemäße Architektur, die unsere komplexe Wirklichkeit abbildet.

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In diesem Zusammenhang ist immer wieder die Rede von Künstlicher Intelligenz (KI). Sehen Sie hier Chancen für die Architekturplanung, z.B., um kreative Designs zu generieren?
Peter Haimerl

KI hilft sicher dabei, Planungsprozesse zu vereinfachen, aber das entbindet die Architekt*innen natürlich nicht davon, neue Philosophien zu entwickeln. KI ermöglicht – wie auch die schon vorhergegangenen neuen Techniken – Komplexität umsetzbar zu machen. In der Vergangenheit sprachen wir von Vereinfachung, weil sie der einzige Weg schien, mit der höheren Komplexität umzugehen. Wenn wir KI sinnvoll einsetzen, führt sie Komplexität nicht zwingend ins Primitive.

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Herzlichen Dank für das Gespräch!

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Interview:   Janek Müller
Titelbild:   © Edward Beierle

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