Eine Bienenwabe an der Hauswand ist nichts Ungewöhnliches. Eine Wabe als Wohnhaus? Das gibt es bisher nur einmal: im Münchner Stadtteil Riem. Hier hat der Architekt Peter Haimerl das „Wabenhaus“ realisiert, ein Wohngebäude aus sechseckigen, horizontal aufeinander gestapelten Röhren. Wir haben mit Peter Haimerl über das innovative Wohnkonzept gesprochen.
- neubau kompass
- Herr Haimerl, Ihr neuestes Projekt – das Wabenhaus – ist ein echter Hingucker. Wie kam Ihnen die Idee dazu?
- Peter Haimerl
Die Idee hatte ich schon während meines Studiums, als ich mich theoretisch mit Architektur beschäftigt habe. Ich stellte fest, dass die moderne Architektur in einer Art Sackgasse steckt und es, vor allem im Bereich des Städtebaus, kaum mehr Entwicklungen gibt. Moderne Städte könnte man jedoch technologisch und gedanklich weiterdenken und so mehr Räume schaffen, die anderes Raumerleben ermöglichen. Die Idee des Wabenhauses ist, dass man über schiefe Ebenen auf jede beliebige Höhe in der Wohnung und auch innerhalb des Gebäudes gelangen kann. Man bewohnt also nicht nur die Bodenfläche, sondern lebt auch auf den gekippten Flächen, Wände verschwinden und werden zu Verbindungstreppen oder Raumtaschen. Die Grundfläche vergrößert sich so und der Raum weitet sich. Das Wabenhaus ist das erste seiner Art, das fertig gebaut wurde.
- neubau kompass
- Wie unterscheidet sich das Wohnkonzept von herkömmlichen Häusern?
- Peter Haimerl
In normalen Wohnhäusern werden Böden und Wände zu Boxen innerhalb einer Schachtel kombiniert. Man wohnt also in Räumen, die horizontal und vertikal strukturiert sind. Die Wabe jedoch setzt sich aus sechseckigen, horizontal aufeinander gestapelten Röhren zusammen, die zu einem beliebig großen Wabenstock zusammengefügt werden können. Die Hexagonalstruktur erlaubt zudem räumliche Verschachtelungen und unzählige Kombinationsmöglichkeiten von Raumeinheiten.
- neubau kompass
- Gibt es in Deutschland baurechtliche Einschränkungen, um Projekte wie das Wabenhaus umzusetzen?
- Peter Haimerl
Die Wabe orientiert sich an allen bestehenden gesetzlichen Vorgaben. Das zukünftige Konzept der Wabe wird auf einer seriellen Bauweise basieren. Hier bietet sich baurechtlich die Möglichkeit einer Typengenehmigung. Das würde die Planungs- und Genehmigungszeit erheblich verkürzen. Die Absicht der Bundesregierung, vereinfachte Bauregeln gesetzlich vorzuschreiben, würde ebenfalls zur Optimierung des Produktes beitragen. Die Kosten könnten gesenkt und die Ausführungsdetails schadensicherer umgesetzt werden, da verringerte Anforderungen auch eventuelle Nachforderungen minimieren. Schlechtere Schalldämmwerte z.B. stellen dann keinen Mangel mehr dar. Das wiederum hat Auswirkungen auf Details, die sinnvoller gestaltet werden können und nicht jedem Maximal- und Extremfall standhalten müssen.
- neubau kompass
- Sind weitere Wabenhäuser geplant?
- Peter Haimerl
Die Wabe ist ein Bauelement, das ich anderen Architekt*innen und Bauträgern anbiete. Hier trete ich in meiner Rolle als Bauarchitekt zurück und möchte andere Architekt*innen dabei unterstützen, einfacher, kostengünstiger, aber vor allem mit weniger Ärger und komplett neu gedacht zu arbeiten. Ich biete also ein Tool mit 3 verschiedenen vorfabrizierten Elementen, die man, je nach Anforderung, zu Clustern zusammenstellen kann und in denen alle Leitungen verlegt sind. Das erspart den Architekt*innen die Detailplanung.
- neubau kompass
- An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
- Peter Haimerl
Ich arbeite immer wieder an innerstädtisch schwierigen Projekten, wo Denkmalschutz und der Umgang mit der Architektur der Moderne aufeinandertreffen. Oft sind es Projekte, an denen andere scheitern, weil herkömmliche Strategien nicht greifen. Manchmal biete ich auch die Wabe an, da man ihre Module gut in gewachsene Strukturen integrieren kann.
- neubau kompass
- Sie beschreiben die deutsche Neubaulandschaft folgendermaßen: „Das ist die Kulisse unseres Alltags, eine Collage aus den immer gleichen Elementen. Ein trauriger, urbaner Loop aus Einfallslosigkeit und Langeweile.“ An was liegt das Ihrer Meinung nach?
- Peter Haimerl
Die architektonische Monotonie der Gegenwart liegt darin begründet, dass sich die Architekt*innen den ökonomischen Zwängen beugen und sie diese sowie die Gesetzmäßigkeiten der Moderne zum Teil verinnerlicht haben: Erst „Licht-Luft-Sonne“, dann „Verkehr“ und jetzt ist es die Maxime „Nachhaltigkeit“. Leider haben wir historische Errungenschaften des europäischen Städte- und Wohnungsbau zugunsten von ideologischen Themen aufgegeben. Wenn man heute z.B. Nachhaltigkeit fordert, dann reicht das und andere Erfordernisse, v.a. an Raumqualitäten sind völlig gleichgültig. Alle orientieren sich nur an diesen ideologischen Schlagwörtern, und entsprechend schaut es dann aus, sprich wir haben einen räumlichen Verlust.
- neubau kompass
- Von wo muss der Impuls kommen, dass sich architektonisch etwas verändern kann?
- Peter Haimerl
Das Allerwichtigste ist, dass Architekt*innen wieder anfangen, an die städtebauliche und architektonische Geschichte anzuknüpfen. Sie müssen unbedingt Konzepte entwickeln, die wirtschaftlich sind und zeitgemäß produziert werden. Wir bauen leider immer noch, wie vor 100 Jahren, obwohl die Gebäude eigentlich absolute Hightech-Produkte sind. Aber diese Komplexität wird nicht in einer neuen Struktur abgebildet, in einer neuen Art, Häuser zu entwerfen und zu bauen. Wir brauchen eine zeitgemäße Architektur, die unsere komplexe Wirklichkeit abbildet.
- neubau kompass
- In diesem Zusammenhang ist immer wieder die Rede von Künstlicher Intelligenz (KI). Sehen Sie hier Chancen für die Architekturplanung, z.B., um kreative Designs zu generieren?
- Peter Haimerl
KI hilft sicher dabei, Planungsprozesse zu vereinfachen, aber das entbindet die Architekt*innen natürlich nicht davon, neue Philosophien zu entwickeln. KI ermöglicht – wie auch die schon vorhergegangenen neuen Techniken – Komplexität umsetzbar zu machen. In der Vergangenheit sprachen wir von Vereinfachung, weil sie der einzige Weg schien, mit der höheren Komplexität umzugehen. Wenn wir KI sinnvoll einsetzen, führt sie Komplexität nicht zwingend ins Primitive.
- neubau kompass
- Herzlichen Dank für das Gespräch!
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Interview: | Janek Müller |
Titelbild: | © Edward Beierle |